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11. November 2024
Rede des Friedensbeauftragten zum Ukraine-Konflikt
Trotz des nasskalten Wetters haben am 9. Februar 2022 etwa 300 Besucher auf den Bremer Marktplatz an einer Kundgebung zum Ukraine-Konflikt teilgenommen. Unter den Teilnehmenden waren auch die ehemaligen Bürgermeister Henning Scherf und Carsten Sieling. Zum Auftakt der Kundgebung gab es viel Beifall für die Rede des Friedensbeauftragten der Bremischen Evangelischen Kirche, Pastor Jasper von Legat, aber auch Unmutsbekundungen, als er die Politik Russlands kritisierte. Besondere Beifall bekam seine Forderung nach einem Waffenexportverbot. Hier seine Rede (es gilt das gesprochene Wort).
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
Zurzeit schauen wir mit Furcht - und bei manchen ist es sicherlich auch Angst - auf das, was sich gerade in der Ostukraine und an der Grenze zur Russland abspielt. Fast täglich werden wir mit Bildern, Videos und O-Tönen konfrontiert. Russland und die Ukraine beschäftigen uns gerade überall. Und dabei ist dieser Konflikt um die Zukunft der Ukraine ja nicht neu, sondern hält die Welt schon seit Wochen, wenn nicht gar seit Jahren in Atem.
Seit der Unabhängigkeitserklärung im Dezember 1991 steht die Präsidialrepublik in der Ukraine vor den größten Herausforderungen ihrer jüngeren Geschichte. Erst die Proteste auf dem Maidan-Platz 2013, dann die Absetzung der Regierung und schließlich die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Über Jahre hinweg herrschten im Osten des Landes bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen moskautreuen, von Russland massiv unterstützten Separatisten und proeuropäischen Kräften. 15000 Menschen ließen dort ihr Leben. Diese ganze Entwicklung in der Ukraine führte zu einem Tiefpunkt der russisch westlichen Beziehungen und macht Menschen zu Recht Angst.
Nahezu täglich gibt es Warnungen vor einem russischen Angriff auf die Ukraine in unseren Zeitungen oder Fernsehprogrammen. Und umgekehrt wirft Russland den Vereinigten Staaten und auch der Nato vor, mit einer weiteren Osterweiterung die Sicherheit in der Region zu gefährden. Noch wird auf höchster Ebene miteinander geredet. Und das ist gut so. Aber wir sehen auch, dass die Spannungen sich unverändert halten und eine Deeskalation und eine Entspannungssituation gerade nicht zu erkennen ist. Wir sehen eher, dass weitere russische Truppen nahe der ukrainischen Grenze, aber auch die Verlegung von Nato-Einheiten in Richtung der Ostukraine den Konflikt verstärken. Und auch wir müssen aufpassen, dass wir in unserem Reden nicht in eine gar zu leichte Kriegsrhetorik verfallen. Denn all das könnte und kann die Gefahr eines realen Krieges erhöhen.
Und wir befinden uns hier in einer Situation, in der wir gar nicht genau sagen können, wie es denn aussieht dort in der Ukraine. Was wissen wir denn eigentlich? Dieser Konflikt hat so viele Dimensionen, so viele Ebenen, so viele Komponenten, dass wir, die wir ja gar nicht bis im Detail drinstecken, das nur im Ansatz erfassen können.
Da ist auf der einen Seite Russland. Russland, das seine Nachbarstaaten nur als weitere Einflusssphäre ansieht und diese Staaten auch unter Druck setzt und in einer gewissen Abhängigkeit hält. Die Russische Föderation hat den Krieg in der Ostukraine unterstützt und die Krim völkerrechtswidrig besetzt. Das müssen wir sagen! Aber wir müssen auch sagen, dass wir in der ukrainischen Gesellschaft und in der Politik einen diskriminierenden Umgang mit der russischen Bevölkerung sehen. Wir müssen auch sehen, dass die Ukraine in Teilen
keine gefestigte Demokratie ist. Und sich auch hinsichtlich des Krieges in der Ostukraine nicht an getroffene Absprachen hält. Wir sehen auch, dass hinter diesem Konflikt weitere Interessenslagen zu finden sind. Da sind zum Beispiel die Rohstoffinteressen zu nennen. Hier vor allem das russische Erdgas. Aber auch die Waffenlieferungen sind erheblich von wirtschaftlichen Interessen geleitet. Wie aber auch zusätzliche innenpolitische Interessen in diesem Konflikt einfließen, das bleibt mir zumindest unklar.
Was aber klar ist, ist, dass sich seit Wochen und Monaten die Eskalationsspirale dreht. Die Mitgliedsländer der Nato rüsten auf und Russland wird immer wieder zum Feindbild erklärt. Es wurden Abrüstungsverträge zwischen den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation aufgekündigt. Auf beiden Seiten wurde militärische Präsenz verstärkt und Militärmanöver angesetzt. Auch die Ukraine wurde in den vergangenen Wochen militärisch massiv aufgerüstet. Wir haben die Forderungen nach Waffenlieferungen aus Deutschland gut vor Augen. Und wir hören immer wieder gegenseitige Schuldzuweisungen und Forderungen, die nach “Wer nicht für mich ist, ist gegen mich” klingen. Und wir hier? Wir stehen vor dieser Situation und blicken nicht durch.
In diesem ganzen Unverständnis und Chaos bleibt aber die Angst vor einem Krieg in Europa. Deshalb muss doch in dieser brenzligen Situation klar sein: Es muss alles getan werden, dass sich der Konflikt in der Ukraine nicht noch weiter aufschaukelt und zuspitzt. Es müssen jetzt akzeptable Lösungen im Sinne einer tragfähigen Sicherheitsarchitektur für alle Beteiligten gefunden werden.
Kiew ist nur circa 2 Flugstunden entfernt. Die Ukraine ist nicht weit weg. Und natürlich ist es auch nicht nur die geographische Nähe, weshalb die Lage in der Ukraine große Sorgen weckt. In einem Krieg gibt es nur Verlierer! Darum muss das Hauptziel jetzt sein, einen Krieg und jede Form der gewaltsamen Auseinandersetzungen zu verhindern.
Wir müssen wegkommen von einer Logik, die nur den militärischen Einsatz als Lösung erkennt. Wir müssen wegkommen von einer Logik, die nur die Abschreckung kennt. Wir müssen wegkommen von einer Logik, die nur die Macht des Stärkeren kennt.
Wir müssen vielmehr zu einer Friedenslogik kommen! Wir müssen im Sinne einer Friedenslogik anfangen zu handeln. Und das bedeutet, dass wir Differenzieren müssen und uns nicht in polarisierende Eskalation einbinden lassen dürfen. Wir müssen langfristige Perspektiven gemeinsamer Sicherheit suchen. Und zwar eine gemeinsame Sicherheit, die sicherheitspolitische Interessen beider Seiten gleichwertig behandelt. Wir müssen eigene Handlungsoptionen kritisch reflektieren. Und wir müssen die Perspektiven der Betroffenen vor Ort einbeziehen. Das heißt: Wir müssen versuchen, alle uns zur Verfügung stehende Kanäle zu den Menschen vor Ort zu nutzen und zu aktivieren.
Deshalb fordern wir in unserem Aufruf, 1.: die Anerkennung der berechtigten Sicherheitsbedürfnisse aller Konfliktparteien, insbesondere der Ukraine, Russlands und der Staaten der Nato.
Wir fordern, 2.: dass keine deutschen Waffen in die Ukraine geliefert werden. Denn es ist doch jedem völlig klar: Waffen tragen nicht zur Deeskalation bei, sondern steigern die Kriegsgefahr. Und das gilt natürlich auch für sogenannte “defensive” Waffen oder, wie ich neulich hörte, Nicht-Letale – also nicht-tödliche - Waffen. Vielleicht muss man das an dieser Stelle dann doch noch mal sagen: Es gibt keine defensiven Waffen per se. Eine Waffe wird nur defensiv oder offensiv, wenn es gewollt wird oder nicht.
Wir fordern 3.: militärische Deeskalation sofort und wahrnehmbar. Dazu gehört insbesondere, dass keine weitere Verlegung russischer Truppen an die ukrainische Grenze sattfinden. Dass keine weiteren westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine geschehen. Dass keine ukrainischen Truppenverlegungen Richtung Osten des Landes stattfinden. Und wir fordern 4.: die Erarbeitung von einer langfristigen Sicherheitsarchitektur zwischen den Konfliktparteien. Dass kann zum Beispiel unter der Schirmherrschaft etwa des UN-Generalsekretärs geschehen und muss unter dem Leitgedanken der gemeinsamen Sicherheit stehen.
Die neu gewählte Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Annette Kurschus sprach in ihrer Weihnachtspredigt im vergangenen Jahr von “Gesten der Entfeindung”. Sie fragte: Wie finden wir diese “Gesten der Entfeindung”. Ich glaube, dass man dafür manchmal sicherlich kreativ sein muss. Friedensbemühungen bedürfen einer gewissen Kreativität. Das ist so. In diesem Fall aber glaube ich, dass wir die Antwort auf diese Fragen schon längst gefunden haben.
Die Antwort kann doch nämlich nur in der zivilen Konfliktlösung liegen. Nicht anderes. Denn wir wissen, dass zivile Konfliktlösungen dem Frieden weltweit nachhaltig dienen. Wir wissen, dass der zivile Widerstand gegen Unrecht und Krieg deutlich stabilere Situationen schafft, als es Waffen jemals schaffen könnten. Darum müssen diese zivilen Konfliktlösungsstrategien immer wieder den Vorrang bekommen, vor einer militärischen Sicherheitsstrategie. Nur im Dialog und durch gewaltfreie Mittel kann überhaupt erst eine Lösung in dieser Situation für alle Beteiligten gefunden werden.
Es ist deshalb gut, dass sich bemüht wird, das Normandie-Format wiederzubeleben. Es ist gut, diesen konstruktiven Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Es ist gut, dass man versucht, diesen gemeinsamen Weg zu gehen. Diese Bemühungen müssen unbedingt unterstützt werden.
Und genau da sehe ich die Rolle Deutschland. Wir in diesem Land müssen uns immer wieder bewusst machen, dass wir in einer besonderen historischen Situation zur Ukraine und zu Russland stehen. Es gibt eine historische Sensibilität Deutschlands diesen Ländern gegenüber. Beide Länder, die Ukraine und Russland, wurden im Zweiten Weltkrieg von Nazi-Deutschland überfallen. Und die Erinnerung an unsägliches Leid und Grauen und Mord an der Zivilbevölkerung gehört zum kollektiven Gedächtnis dieser beiden Länder. Das heißt, dass es unsere Aufgabe ist nach, diesen “Gesten der Entfeindung” zu suchen. Und es ist unsere Aufgabe, sie zu finden. Dazu gehört vor allem, auf eine Lösung hinzuarbeiten, die die Souveränität und auch die territoriale Integrität der Ukraine wahrt und auch das Sicherheitsbedürfnis beider Seiten berücksichtigt.
Europa und seine östlichen Nachbarn brauchen eine langfristige Perspektive. Dabei ist sicherlich auch die wirtschaftliche Kooperation ein wichtiger Aspekt. Denn auch eine solche Kooperation schafft den Raum für Frieden, wie uns unsere eigene Geschichte und die Geschichte der Europäischen Union lehrt. So könnte zum Beispiel eine ökologische Modernisierungspartnerschaft gemeinsame Interessen verbinden, klimapolitisch wie wirtschaftlich!
Was können wir aber hier vor Ort tun? Es ist wichtig, dass wir unsere Sorgen und Ängste vor einem Krieg in Europa kommunizieren. Es ist wichtig für uns, dass das ausgesprochen wird. Zum Beispiel die Veranstaltung hier heute auf dem Marktplatz in Bremen. Aber auch am 22. Februar. Dann findet um 19:30 Uhr ein Friedensgebet in der Kirche Unser Lieben Frauendort drüben bei den Stadtmusikanten statt Auch das ist eine Möglichkeit, Ängste und Sorgen auszudrücken.
Und wenn es darum geht aus der politischen und militärischen Eskalationsspirale auszusteigen und hinzukommen zu einem Ausgleich der Interessen und zu einer neuen Entspannungspolitik und damit auch zur Vermeidung eines neuen Kalten Krieges, wenn es darum geht, das hinzubekommen, auch dann können wir Etwas tun. Ich sprach bereits davon, dass wir alle uns zur Verfügung stehende Kanäle in die Ukraine und nach Russland aktivieren sollten. Das sind Freunde, Familienangehörige, Sportvereine, Parteien, Gewerkschaften, NGOs, Vereine, Interessenverbände, Städtepartnerschaften, Gemeinden, Kirchen. Über den Kontakt und über Gespräche, über Begegnungen mit Mitgliedern dieser Gruppen kann ein gemeinsames Signal für Frieden und Zusammenarbeit gesendet werden. Denn niemand möchte Krieg!
Das kann ein Weg sein. So kommen wir raus aus den ständig neuen Nachrichten über die wahnwitzige Eskalation von Kriegsvorbereitungen. So kommen wir weg von einer Logik, die auf geopolitischen Wettbewerb fußt. Denn diese Logik nimmt unweigerlich den Tod und das Leid in Kauf, wie es jeder bewaffnete Konflikt für die Kinder, Frauen und Männer der Ukraine und Russland nach sich zieht. Es ist an der Zeit, Einsicht zu zeigen und den Verstand einzusetzen. Deeskalation ist das Gebot der Stunde!
Vielen Dank für Ihre und Eure Aufmerksamkeit.