Der Journalist und Filmemacher Alwin Meyer Jahrgang 1950 spürt seit Jahrzehnten die Kinder von Auschwitz auf versucht ihr Vertrauen zu gewinnen und führt Gespräche mit ihnen die er aufzeichnet Viele erzählten ihm zum ersten Mal vom Lagerleben von einer Kind heit in der der Tod immer gegenwärtig war Herr Meyer Sie beschäftigen sich seit 1972 mit den Schicksalen der Kinder von Auschwitz Wie sind Sie dazu gekommen Alwin Meyer Ich wusste zu der Zeit sehr wenig über Auschwitz das Thema spielte in meiner Schulzeit kaum eine Rolle Ich hatte darüber gelesen So nutzte ich die Gelegenheit mit einer Gruppe junger Men schen dorthin zu fahren und mir die Gedenkstätte anzuschauen Dort erzählt mir Tadeusz Szymanski ein ehemaliger Häftling der als Erwachsener in Auschwitz war von den Babys und Kindern im Lager Davon hatte ich nie etwas gehört Wir haben in den drei Wochen in Auschwitz Schuhe von Häftlingen die es dort bergeweise gibt für die Konservierung vorbereitet Darunter waren auch Kinderschuhe und das setzt im Kopf natürlich Phantasien in Gang Kurz Das Thema ließ mich nicht mehr los Da es keine Lite ratur gab begann ich selber zu recherchieren über persönliche Weiterempfehlungen jüdische Gemein den Gedenkstätten Ich habe die überlebenden Kin der des Lagers in Osteuropa in Israel den USA und weltweit getroffen Wie ist es Ihnen gelungen Vertrauen zu gewinnen und tatsächlich ins Gespräch zu kommen Das gelang anfangs nur über Vertrauenspersonen wie Tadeusz Szymanski sonst wäre ich als Deutscher bei vielen nicht über die Türschwelle gekommen denn das Erlittene war zu frisch Auch wenn ich als 1950 geborener keine persönliche Schuld trug es geht oft um ganz intime Erlebnisse die man nicht so einfach jedem erzählt Meine Aufgabe ist auch die Menschen zu schützen und nicht alles öffentlich zu machen was sie mir anvertraut haben Es braucht Sensibilität und viel Zeit um diesen Menschen gerecht zu werden Denn sie leiden darunter dass man sich nur für sie interessiert weil sie in Auschwitz waren Sie wollen auch als Menschen von heute wahrgenommen wer den denn sie hatten ein Leben vor und nach der Zeit im Vernichtungslager Was haben Sie erlebt als Sie mit den Kindern von Auschwitz gesprochen haben Natürlich erschütterte sie die Erinnerung zutiefst denn oft waren sie die einzigen Überlebenden einst großer Familien Manche Gespräche musste ich abbrechen und konnte sie wenn ich Menschen in den USA oder Israel getroffen hatte erst ein oder zwei Jahre später weiter führen weil mein Rückfl ug schon gebucht war Oft haben Kinder Ehepartner und andere Familienmitglieder teilgenommen so dass es in einem kleinen Wohnzimmer sehr voll war was es schwierig macht eine intime Gesprächsatmo sphäre herzustellen Das Interesse der Angehörigen war groß weil sie die Schicksale vorher nicht genau kannten Wie ging es Ihnen bei diesen Gesprächen Zunächst Es geht bei dieser Arbeit immer um die Kinder nicht um mich Am Anfang war ich vor allem tief beschämt fast zu sprachlos um mit den Opfern zu sprechen Ich war vor allem wütend über das was unsere deutschen Vorfahren getan haben Manche der Kinder die natürlich längst erwachsen waren habe ich mehr als 20 Mal getroffen Mit der Zeit wächst natürlich Vertrauen und die Erzählungen werden tiefer und intensiver Wie verarbeiten Sie die Gespräche bei denen Sie mit den Betroffenen buchstäblich in Abgründe bli cken Natürlich gab es Gesprächssituationen in denen auch ich geweint habe und das Gespräch erstmal zu Ende war Diese Einblicke sind Teil meines Lebens geworden ich lebe damit Und sie sind eine große Bereicherung für mich weil ich dieses Vertrauen bekomme Teils sind Freundschaften entstanden wir haben uns gegenseitig privat besucht Urlaube miteinander verbracht alles was ich nie zu hoffen gewagt hätte Das Wort Versöhnung lehne ich in diesem Zusammenhang ab Aber viele der Kinder haben zum ersten Mal mit jemandem über ihr Schick sal gesprochen weil ich der erste war der sie danach gefragt hat kirche bremen de bremer kirchenzeitung Oktober 2021 9 Interview Matthias Dembski Fotos Alwin Meyer Karel Pech Steidl Verlag Alwin Meyer Autor und Ausstellungsmacher Ruth und Robert Büchler zwei der 232 000 Kinder von Auschwitz

Vorschau bkz Herbst 2021 Seite 9
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