Geschichte der Wilhadi Gemeinde

In den Jahren 1876/1878 entstand die Wilhadi-Kirche an der Nordstrasse als ‚Tochterkirche’ der St.Stephani-Gemeinde. Am 23. Juni 1876 war die Grundsteinlegung für einen Backsteinbau im neugotischen Stil und am 1. Dezember 1878 wurde die Kirche eingeweiht, noch ohne Turm.
In der Nacht vom 18. zum 19. August 1944 wurde auch die Kirche an der Nordstrasse, während eines Luftangriffs, schwer getroffen. Lediglich der Turm der Kirche ragte aus den Trümmern hervor. Unser Gemeindesprengel war quasi über Nacht verschwunden. Gerettet werden konnte ein Altarbild von Pfannschmidt, es hängt heute unter dem Orgelbereich.
Nach dem Krieg dauerte es noch eine ganze Zeit bis am 2. April 1955 der Grundstein für unser heutiges Gemeindezentrum am Steffensweg gelegt werden konnte.

Pastor Arlt’s Lebensweg

Pastor Arlt’s Lebensweg

-          Erwin Arlt, geboren 17.9.1885 in Bad Freienwalde an der Oder

-          Pastor in Wilhadi 1913 – 1956

Als 10. Kind meiner Eltern – vier starben im zarten Alter – hatte ich eine schöne Kindheit und Jugendzeit. Meine ersten Groschen verdiente ich mit dem Hüten einer Schafherde – damals ein Vermögen – war’s eine Vorahnung des künftigen Berufs? Vorerst ging mein Wunsch auf ein anderes Ziel: ich wollte Offizier werden. Da kam ich als Primaner in Berührung mit der BK (Bibelkreis für Schüler).

Einige Primaner kamen zusammen zur Bibellektüre unter Anleitung der Hausmutter des Bibelhauses Malche und gelegentlicher Mithilfe von Pastor Ernst Lohmann (Gemeinschafts­bewegung). Die Teilnahme an zwei Freizeiten Berliner BKler in Lassahn(Schleswig-Holstein) und Rothenmoor (Mecklenburg) – eine damals unerhörte Neuigkeit! – rief in mir den Entschluß wach , Theologie zu studieren. Diese geistliche Herkunft hat meine spätere Amtsführung mitgeprägt, wenn auch gemildert durch den frischen und freien Geist der Hansestadt Bremen. Da ich auf dem Gymnasium nur knapp 1 Jahr Hebräisch gehabt hatte, - mir zu Liebe nahm ein jüdischer Mitschüler an diesem Unterricht teil -, machte ich am Schluß des 1. Semesters das Hebraicum. In Halle hörte ich vor allem Loofs, Lütgert und Kauzzsch, in Berlin Seeberg, Weiss und Harnack. Nach Absolvierung der beiden theologischen Examina vor dem Konsistorium in Berlin genügte ich meiner militärischen Dienstpflicht im Grenadier Regiment Nr. 13 in Frankfurt (Oder) und wurde dann im Mai 1911 im Berliner Dom von Superintendent Köhler ordiniert. Meine erste Amtshandlung nach der Ordination war die Trauung meines Bruders in Burgdorf. Zwei Jahre war ich als Hilfsprediger in Fankfurt / Oder an St. Georgen tätig. Durch meinen Freund Emil Ohly, der zur selben Zeit als Missionsinspektor in Bremen war, dann nach Stockholm an die deutsche Gemeine von St. Gertraudt ging, wurde ich aufmerksam gemacht, dass an der Wilhadi-Kirche in Bremen eine Pfarrstelle zu besetzen sei.

Nach einer Probepredigt am Sonntag Quasimodogeniti wurde ich vom Konvent der St. Stephani-Kirche gewählt und am Sonntag, dem 1. Juli 1913 in mein amt als Pfarrer von Wilhadi eingeführt. Die Berufung erfolgte nicht wie bei den Pfarrstellen der Stadt-Kirchen durch den Senat, sondern durch den Kirchenvorstand von St. Stephani. Denn, die 2.Pfarrstelle an Wilhadi war von der Muttergemeinde St. Stephani unter Mitwirkung des Evangelischen Vereins, der sich die kirchliche Versorgung neu entstehender Stadtteile angelegen sein ließ, geschaffen worden. Die Einführung vollzog Pastor prim. Thyssen unter Assistenz von Pastor Vietor. Seiner Einführungs­rede legte er die Worte Jesu zugrunde: „Wer mir dienen will, der folge mir, und wo ich bin, da soll mein Diener sein; und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren“ (Ev. Joh. 12,26). Während ich über die Worte 1.Korinther 1,23 und 24 predigte: „Wir  aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christentum, göttliche Kraft und göttliche Weisheit“.  Während meine beiden Vorgänger Gottlieb Funcke und Richard Wahle wenige Jahre die 2. Stelle an Wilhadi innehatten, hielt ich länger aus, nämlich von 1913-1956. Am 19.10.1927 wurde mir auf Antrag des Kirchenvorstandes von St.Stephani von dem Kirchenausschuß der bremisch-evangelischen Kirche der Charakter eines ordentlichen Pastoren verliehen.

Aus Wilhadi’s Vergangenheit und Gegenwart

Auf einem Gemeindeabend, den wir am 29.11.1953 in der Immanuel-Kapelle anlässlich des 75. Geburtstages unserer Wilhadi-Kirche hielten, gab ich folgenden Rückblick:

Wenn wir heute der Erbauung und Einweihung der Wilhadi-Kirche vor 75 Jahren gedenken, ist es unsere Pflicht, vor allem der Männer in Dankbarkeit zu gedenken, von denen die Initiative zum Bau einer neuen Kirche vor den Toren der Stadt im Westen ausgegangen ist. Es waren die Männer des Kirchenvorstandes von St.Stephani unter der Führung des verw. Bauherrn Joh. Karl Vietor. Männer, die in gleicher Weise von sozialem Verantwortungsgefühl wie von christlichen Motiven bestimmt wurden, in der stürmisch sich nach Westen ausdehnenden Stadt, sowohl für gesunde Wohnungen für die arbeitende Bevölkerung wie für ihre kirchliche Versorgung etwas zu tun. J.K. Vietor hatte schon Anfang der sechziger Jahre nicht nur dem Kirchenvorstand von Stephani, sondern auch dem Senat einen Vorschlag unterbreitet, in der westlichen vorstand billige kleine Häuser zu errichten, um den Bau großer Mietskasernen zu vermeiden, wie sie in anderen Städten Deutschlands in jener Zeit emporwuchsen. Es sollte auch ein Betsaal errichtet werden. Über die Vorgeschichte des Baues der Kirche gibt das Dokument Auskunft, das in der bei der Grundsteinlegung eingemauerten Kassette enthalten war. Diese Kassette ist glücklicherweise im September des Jahres bei den Aufräumungsarbeiten gefunden worden, und ich möchte doch heute die Verlesung dieser Urkunde nicht unterlassen:

„Im Jahre des Heils 1878, am 23.Juni, unter der glorreichen Regierung Kaiser Wilhelms I wurde in der freien Hansestadt Bremen der Grundstein zu diesem Gotteshause gelegt, welches den Namen Wilhadi-Kirche in dankbarer Erinnerung an das segensreiche Wirken des 1.Bischofs hier selbst tragen soll.

Auf Anregung des seligen Bauherrn Joh.K. Vietor hatte sich im Jahre 1865 ein Verein gebildet, um auf dem der St. Stephani-Kirche gehörenden Melkerplatze, Arbeiterwohnungen nebst einen Betsaal zu errichten. Kam dieser Plan auch durch die Ungunst der Zeiten nicht zur Ausführung, so wurde er doch für die St. Stephani-Kirche der erste Anlass, den Bau einer 2.Kirche in der sich immer weiter ausdehnenden Vorstadt ins Auge zu fassen, sobald die Mittel dazu vorhanden sein würden. Nachdem der Melkerplatz anno 1870 an den Bremischen Staat zum Preise von 80 000Th Gold verkauft war, wurde von der Gemeinde beschlossen, die Summe von 20 00Th zum Ankauf eines Platzes zum Bau einer Kirche zu bewilligen. Das zu diesem Zweck erworbene Grundstück, ist 60 00 Quadart-Fuss groß. Ein Fünftel desselben ist von dem Landmann Gerhard Klatte geschenkt worden, das Übrige für den Preis von 8000Th Gold angekauft.

Der Grundriss dieser Kirche ist von dem Architekten Johann Rippe, dem Erbauer der Friedenskirche. Die Ausführung ist dem Mauermeister J.H. Pätz und dem Zimmermeister J.H. Schumacher übertragen.

Gott der Herr nehme das Gotteshaus in seinen Schutz. Er lasse es zu einer Stätte werden, wo seine Verheißung: An welchem Ort ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will ich zu dir kommen und dich segnen (2, Mose 20,24)

Der Kirchenvorstand der St. Stephani-Gemeinde.“

Den Männer von StStephani verdanken wir also die Gründung unserer Wilhadi-Kirche. Es wird hier ein bedeutsamer Zug im kirchlichen Leben Bremens deutlich. Auf die Initiative der sogenannten Laien geht ein Stück kirchlicher Arbeit in Bremen zurück. Sie fühlten sich mit den Pastoren verantwortlich für die kirchliche Versorgung der Stadt. Freilich, wer sollte es auch sonst tun? Ein Kirchenregiment, eine kirchliche Behörde wie in anderen Ländern unsres Vaterlandes gab es nicht. Der Senat hatte wohl die Aufsicht über die äußere Ordnung der Kirchen, das jus circa sacra, aber keinerlei Auftrag und Absicht, für das innere Leben der Gemeinden Sorge tragen, also auch nicht für die kirchliche Versorgung neu entstandener Stadtteile. Da sahen sich die Kirchenvorstände und in ihnen vor allem die Laien gerufen zum Dienst an der Gesamtheit und sie taten das unter großen Opfern an zeit, Kraft und Geld. Und es ist nur zu wünschen, dass auch in Zukunft sich immer wieder Männer und Frauen bereit finden, am äußeren und inneren Aufbau der Gemeinden und der Kirche mitzuarbeiten. Dass sie auch unsrer Gemeinde nicht fehlen möchten grade im Blick auf die vielerlei Aufgaben, die ihr heute beim Neuaufbau erwachsen, ist mein Wunsch und Gebet.

Es vergingen noch viele Jahre von den ersten Plänen zur Erbauung der Kirche bis zu ihrer Vollendung, ein rechter Trost für uns heute, die wir nach 8 Jahren immer noch ohne eigenes Gotteshaus und Gemeindehaus sind und die wir diese Feierstunde begehen müssen in der uns freundlicher zur Verfügung gestellten Immanuel-Kapelle. Für diesen brüderlichen Dienst wollen wir nicht versäumen, den Vorstand von Immanuel unseren herzlichen Dank zu sagen.

Am 1.Advent des Jahres 1978 fand die Einweihung der Wilhadi-Kirche statt. Pastor prim. Henrici hielt die Weihepredigt über das Evangelium des 1.Advents vom Einzug Jesu in Jerusalem und Pastor Tiesmeyer predigte über den 100. Psalm mit den 3 Teilen: Danket dem Herrn – dienet dem Herrn – hoffet den Herrn. (Unter den Unterlagen findet sich auch ein kleines Heft mit den bei der Grundsteinlegung und bei der Einweihung gehaltenen reden und Predigten „Zur Erinnerung an die Anfänge der Wilhadi-Kirche zu Bremen“)

Über die Schönheit des Baus – die Kirche war in neugotischem Stil gebaut – will ich kein Urteil fällen. Wir,  älteren in unserer Mitte, heben sie jedenfalls lieb gewonnen und manche gesegnete Stunden sind in ihr geschenkt worden.

Es hat dann noch viele Jahre gedauert, bis die Kirche ihre volle innere und äußere Ausstattung bekommen hat: die Glasfenster und das Taufbecken, die Orgel und den Turm (63m hoch), errichtet 1885 und die beiden Glocken (anno 1886).

Wenn ich das Schicksal der Kirche bedenke,  steigt in meiner Erinnerung das 50jährige Jubiläum am 2.12.1928  herauf. Zwei Tage vorher am Freitag, dem 30.11.28, hatte die weihe der Glocken in einem Abendgottesdienst stattgefunden, den ich halten durfte. Im Juli 1917 war eine der beiden Glocken ein Opfer des 1.Weltkrieges geworden, sie mußte abgeliefert werden. Nun war in der Gemeinde zu der bevorstehenden 50Jahrfeier fleißig gesammelt worden. Die Kirche erhielt die nötigen Läufer in den beiden Gängen und einen neuen Altarteppich, Marmorstufen und Fliesenbelag im Altarraum – dies alles aus der Sammlung ehemaliger Konfirmanden von Pastor Vietor. Auf dem Altar prangten nun 2 dreiarmige silberne Leuchter, gestiftet vom Ministerium der stadtbremischen Kirchen. Der Männer- und Jungmännerverein Willehad stiftete eine silberne Taufkanne, der Kirchenchor eine Kirchenfahne. Altar- und Kanzelbekleidung in den liturgischen Farben wurden beschafft aus einer Sammlung der Konfirmanden von mir. Die Sakristei und der auf der andern Seite liegende Taufraum erhielten bunte Glasfenster, die von der St. Stephanikirche geschenkt und von dem Glasmaler Herrn G. Rhode hergestellt wurden. Die Beschaffung der neuen Glocke wurde durch ein Darlehen der St.Stephani-Kirche ermöglicht, ebenso die Anschaffung eines elektrischen Läutwerkes und eines elektrischen Gebläses für die Orgel. Die alte Glocke, die abgegeben wurde, trug die Inschrift: „Gott Vater rufet durch mich weit: Kommt,  Kinder, alles ist bereit“,  die Inschrift der kleinen Glocke war: „Zu Jesu Christ, dem Haupt und Herrn, lad ich die Jünger nah und fern“. Die neue Glocke, die von der Glockengießerei F. Otto in Hemelingen gegossen war, trug die Inschrift: „Ich mahne: hört auf Gottes Wort daheim und hier am heiligen Ort!“.

Am Sonntag, dem 2.12.1928, war dann der Festgottesdienst, in dem die Bremisch Evangelische Kirche durch ihren Präsidenten Herrn Senator a.D. D.Dr. Lürmann, der Evangelische Verein durch Professor D.Dr. Stoevesandt und die St. Stephani-Gemeinde durch ihren verwaltenden Bauherrn Herrn Nicolaus Freese vertreten waren. Pastor prim.Thyssen überbrachte die Segenswünsche der Muttergemeinde und Pastor Vietor hielt die Festpredigt über Matthäus 2,2: „Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen ihn anzubeten“. An dem darauf folgenden Dienstag war im großen Saal der Union eine Festversammlung mit großer Beteiligung. Pastor Vietor hielt die Ansprache, die einen Bericht über die äußere und innere Entwicklung der Gemeinde gab: aus kleinen Anfängen sei sie allmählich aus einem Spross der St. Stephani-Gemeinde zu einem selbständigen Baum heran gewachsen. Treue Freunde hatten ihr besonders in den ersten Jahren hilfreich zur Seite gestanden und sie mit reichern Spenden bedacht. Auch aus seiner seelsorgerlichen Arbeit gab er bewegende Beispiele. 

Das Verhältnis zu den Amtsbrüdern

Ich kam in einen Kreis von Amtsbrüdern in der Montagsgesellschaft, die alle wesentlich älter waren. Mit Pastor Refer von Rablinghausen, gleichaltrig, waren wir die beide junge Leute und ich dazu ein Neuling im Amt; hatte ich doch nur 2 Jahre als Hilfsprediger in Frankfurt(Oder) zugebracht, und kam nun hier in Bremen in ein selbständiges Pfarramt. Es war mein Glück, dass ich in den beiden nächsten Amtsbrüdern Paul Gerhard Tiefenthal und Cornelius R. Vietor zwei erfahrene Amtsbrüder und Freunde fand. Jeder von ihnen war ein Original, beide in Freundschaft miteinander verbunden und sie nahmen mich brüderlich in ihre Mitte, und ich war ihnen herzlich dankbar für die mir gewährte Freundschaft und ich habe sehr viel von ihnen gelernt für die Führung des Amtes. Vietor hat in 38jähriger Tätigkeit die Wilhadi-Gemeinde geprägt.

Am 16.1.1894 wurde er vom Kirchenvorstand von St. Stephani zum Prediger der St. Stephani-Kirche berufen mit der ausdrücklichen Bestimmung, sein Predigt- und Seelsorgeamt in der westlichen Vorstadt an der Wilhadi-Gemeinde auszuüben. Darauf wies ihn der verwaltende Bauherr von Stephani Christian H. Noltenius, sein Onkel, hin mit den Worten: „nun suche dir deine Arbeit und schaffe eine neue Gemeinde!“ Das hat er dann getan, er wurde der eigentliche Gründer von Wilhadi. Ausgerüstet mit mancherlei Gaben des Geistes und einem warmen Herzen für alle Notleidenden und Bedrängten und mit einem festen Glauben ging er an die Arbeit, die den ganzen Mann in Anspruch nahm. Durchdrungen von der Überzeugung, dass christliche Gemeinde nur durch die klare Verkündigung des Evangeliums, der frohen Botschaft von Jesus Christus, gebaut werden könne, wandte er viel Mühe und Sorgfalt auf die sonntägliche Predigt.

Er war nicht das, was man einen zündenden Redner nennt, aber er war ein treuer und gewissenhafter Zeuge, der zunächst sich selbst unter das richtende und rettende Wort seines Herrn stellte. Er nahm stets eine Skizze seiner Predigt mit auf die Kanzel, sprach aber ganz frei, und er hat nie auf der Kanzel einen Witz gemacht, was man eigentlich nach seiner humorvollen Anlage vermuten konnte. Neben einer reichen Vereinsarbeit, die ihn fast jeden Abend in Anspruch nahm, unterrichtete er 4mal in der Woche 300-400 Konfirmanden!! Wenn er am Vormittag keine Beerdigungen hatte, machte er sich auf den weg zu den Kranken und Alten und zu denen, die sich um Rat und Hilfe an ihn gewandt hatten. Er war das, was Pastor Büttner von Unser Lieben Frauen „einen Pedaltheologen“ nannte. Herz- und Mittelpunkt seiner Arbeit war die Seelsorge, und seine besondere Begabung dafür hat reiche Frucht getragen.

Im Sommer 1932 –  er stand vor seiner Emeritierung – suchte er Erholung im Landhaus seines Bruders Carls in Hude und erkrankte hier an einer Thrombose. Am 14.7. wurde er durch eine Embolie sanft und schmerzlos heimgerufen. Am darauf folgenden Sonntag durfte ich in einem Gedächtnisgottesdienst in der Wilhadi-Kirche des Bruders und Freundes gedenken mit einer Predigt über Römer 14,7-9: „Denn unser keiner lebt sich selber und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum wir leben und sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus auch gestorben und auferstanden und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebendige Herr sei“. Die Trauerfeier wurde am Montag, dem 18.7. in der überfüllten Wilhadi-Kirche von Pastor prim. Rosenboom gehalten. Sie stand unter dem Wort der Schrift, das der Heimgegangene für diesen Gottesdienst bestimmt hatte: „Des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“ (Lukas 19,10). An beiden Tagen war die Kirche überfüllt. Nach der Feier in der Kirche setzte sich ein langer Leichenzug durch die westliche Vorstadt in Bewegung zum Waller Friedhof, wo er im Grabe, der Stephani-Pastoren seine letzte Ruhestätte gefunden hat, ein überwältigendes Zeugnis der Verehrung und Liebe, die der entschlafene sich durch sein treues Wirken erworben hatte. „Wie ein Fürst wird er beerdigt“ – so eine Stimme aus der Menge am Straßenrand.

Die kirchliche Organisation der Gemeinde

Aus der von mir gegebenen Darstellung, der Geschicke unsrer Wilhadi-Kirche ging bereits hervor, dass die Gemeinde verfassungsmäßig nicht selbständig war, sondern ein Glied der St. Stephani-Kirche und das blieb sie auch Jahrzehnte lang. Die Verwaltung, die Finanzierung, die Pfarrwahl u.a. geschahen durch den Kirchenvorstand bzw. den Konvent der St. Stephani-Kirche. Im Kirchenvorstand war Wilhadi durch ihre Pastoren, im Konvent durch einige Gemeindeglieder vertreten. Diese Abhängigkeit von Stephani merkte ich daran, dass pünktlich am 1. jeden Monats Herr Glander von Stephani bei mir erschien und mir mein Gehalt in Höhe von 339,50 Mark in Gold auszahlte. Auch sonst erfüllte Stephani als eine fürsorgliche Mutter ihrer beiden Töchter ihre Pflichten.

Als ich nach Bremen kam, sagte Pastor Frick, Pastor der Inneren Mission in Bremen, zu mir: „Lieber Bruder Arlt, in Bremen ist alles anders“. Das traf auch für die kirchlichen Verhältnisse zu. Ich kam aus der Brandenburgischen Kirche, die zur Preußischen Union gehörte, und fand völlig andere kirchliche Verhältnisse vor: es gab keine Brem. Ev. Kirche, sondern nur einzelne, selbständig nebeneinander stehende Gemeinden, kein gemeinsames Bekenntnis, auch kein Kirchenregiment, keinen Superintendenten oder Bischof, sondern, wie Pastor Büttner von Unser Lieben Frauen es ausdrückte: „jeder Pastor ist in seiner Amtsführung nur Gott und seiner Frau verantwortlich“. Diese Atomisierung der Kirche war ja das Werk des berühmten Bürgermeisters Johann Smidt. Nicht dass Smidt kirchenfeindlich eingestellt war – er hat im Gegenteil kirchlich eifrig gewirkt, vor allem für die kirchliche Versorgung der Hafenstädte Vegesack und Bremerhaven gesorgt – aber die Kirche als selbständige Anstalt ging gegen seine Staatsräson, und nur in der Gemeindefreiheit sah er das rechte Christentum garantiert. Er entwertete die alte Stellung des Ministeriums der Stadtbremischen Gemeinden und hob 1860 die alten Kirchspielgrenzen auf, so dass jene kirchliche Freizügigkeit entstand, die ein Charakteristikum des kirchlichen Lebens war: jeder konnte sich zu der Gemeinde oder zu dem Pastor halten, die ihm zusagten und jeder Pastor konnte an jedermann in der Stadt auf seinen Wunsch, mag er wohnen, wo er will, jede Amtshandlung vollziehen. „Hier hast Du einen Jagdschein für die ganze Stadt, nun sammle Dir eine Gemeinde“ – so soll zu Pastor Vietor sein Onkel Noltenius gesagt haben, so sagte auch zu mir einer der Bauherren von St. Stephani. Die Folge davon war, dass es erhebliche Unterschiede gab in der Größe der Gemeinden: der eine Pastor, hatte viele Amtshandlungen, der andere wenige, der eine hatte viele Konfirmanden im kirchlichen Unterricht, der andere weniger, was sich auf das brüderliche Verhältnis bisweilen sehr ungünstig auswirkte; der eine hatte viele Nebeneinnahmen, der andere weniger – da es keine Kirchensteuer in Bremen gab, wurde jede Amtshandlung honoriert. Diese sog. Sporteln waren ein offizieller Bestandteil des Gehaltes, so stand es in den Berufungsschreiben, und sie anzunehmen war nicht immer eine erfreuliche Sache. So passierte es mir einmal, dass bei einer Konfirmationsfeier ein Mädchen mir einen Taler in die Hand drückte, als sie vor dem Altar stand, ich darauf nicht gefasst war und nun der Taler klingend auf den Steinfussboden fiel!!

Dieser Zustand wurde anders durch die Auswirkungen des 1. Weltkrieges. Da die bisher herrschende Beziehung zwischen Staat und Kirche- der Staat hatte das jus circa sacra  –  abgebrochen war, sah sich die Kirche zu einer neuen Ordnung genötigt: es musste, ein Zusammenschluss der Gemeinde in rechtlicher Form herbeigeführt werden. Das geschah nach vielfältigen Studien und zahlreichen Beratungen.

In der sog. Quartalskonferenz, einem Zusammenschluss der positiven wie der liberalen Pastoren, die sich im Jahre 1880 eine Satzung gegeben hatte und in der jedes Mitglied zu einer Vorlesung über ein theologisches oder kirchliches Thema verpflichtet war, habe ich die Frage der Neuordnung der Bremischen Kirche behandelt.

Ich hatte nach einer Besprechung mit Generalsuperintendent Zöllner in Münster in dieser Vorlesung die Richtung anzudeuten versucht, in der eine Lösung dieser Frage bei unseren kirchlichen Verhältnissen anzustreben sei, nämlich die Kirche nicht als eine Konfessionsgemeinschaft, sondern als einen Zweckverband zu organisieren. Das geschah dann auch nach langen Verhandlungen und Besprechungen in der Kirchenordnung der Brem. Ev. Kirche vom Jahre 1920, an deren Herstellung neben Pastor Hartwig vom Dom, Pastor Felden von Martini, Bauherrn Freese von Stephani vor allem Pastor Büttner von Unser Lieben Frauen beteiligt gewesen ist. Diese Kirchenordnung ist aus einer rein demokratischen Denkweise geboren:

1)      schließt sie die Entstehung einer hierarchischen Leitung der Kirche grundsätzlich aus, indem sie bestimmt, dass der Vorsitz im Kirchenausschuss an Persönlichkeiten geknüpft ist, die weder amtierende noch im Ruhestand befindliche Geistliche sein dürfen

2)      sie greift in keiner Weise in die kirchlichen Satzungen der Einzelgemeinden ein, sondern überlässt es jeder Gemeinde, nach welchen Grundsätzen sie sowohl ihr Bekenntnis wie ihre Gemeindeangelegenheiten ordnen will

3)      sie sorgt dafür, dass der Kirchenausschuss und sein Vorstand lediglich der Vollstrecker des Gesamtkirchentages und nicht etwa einer kirchlichen Oberbehörde ist

4)      sie garantiert jeder Gemeinde und ihren Pastoren unumschränkte Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit.

 

Im Rahmen dieser Neuordnung der Gesamtkirche Bremens wurde nun auch Stephani genötigt, sich neu zu organisieren d.h. das Verhältnis von St. Stephani zu Wilhadi und Immanuel neu zu gestalten. Das geschah durch die neue Kirchenordnung, die am 10.4.1923 durch den Konvent beschlossen wurde. § 1 dieser neuen Ordnung lautete: „Die St. Stephani-Kirche ist eine evangelische Gemeinde; sie steht auf dem Grunde des Evangeliums von Jesus Christus, dem für uns gekreuzigten und auferstandenen Herrn“. § 2 : „Sie ist ein selbständiges Glied der Brem. Ev. Kirche und wie diese eine Körperschaft öffentlichen Rechtes. Sie umfasst zur Zeit die Einzelgemeinden von St. Stephani, Wilhadi und Immanuel“. Die Bildung der neuen Gemeinden Wilhadi und Immanuel wurde hier festgelegt, die Töchter wurden von der Mutter als großjährig erklärt. Die Gesamtgemeinde – die St. Stephani-Kirche- setzte sich aus 3 Einzelgemeinden zusammen, von denen jede einzelne ihre eigenen Gemeindevorstände und –Vertretungen erhielt, während der Kirchenvorstand für die Gesamtgemeinde ebenso wie der Kirchenkonvent bestehen blieb. Die Zahl der Sitze im Konvent wurde nach der Größe der Gemeinde bestimmt ebenso wie die der Sitze im Kirchenvorstand. Im Kirchenvorstand 7 aus Stephani, 4 aus Wilhadi und 3 aus Immanuel, im Konvent 30 aus Stephani, je 20 aus Wilhadi und Immanuel.

Dementsprechend gab sich auch Wilhadi eine neue Satzung. Der 1. Paragraph dieser Satzung lautete: „Die Wilhadi-Gemeinde ist eine evangelische Gemeinde und steht auf dem Grunde des Evangeliums von Jesus Christus, dem für uns gekreuzigten und auferstandenen Herrn“.

Die volle Selbständigkeit bekam Wilhadi nach dem 2. Weltkrieg. Aus dem äußeren und inneren Zusammenbruch erwuchs Schritt für Schritt eine neue Ordnung der kirchlichen Verhältnisse.

Der vorläufige Kichenausschuß der Brem. ev. Kirche erließ, unter dem 9.8.1946 folgende Verordnung über die Bildung der evangelischen Kirchengemeinden Stephani, Wilhadi und Immanuel: 

„ Auf Grund der Verfügung des Präsidenten des Senates vom 15.Juni und 18.Dezember 1945 über die Wiederherstellung der verfassungsgemäßigen Zustände in der Brem. Ev. Kirche verordnet der Vorl. Kirchenausschuss vorbehaltlich der Bestätigung durch den Kirchentag wie folgt:

§ 1

Die bisherige St. Stephani-Gesamtgemeinde wird in die Kirchengemeinden St. Stephani, Wilhadi und Immanuel aufgeteilt.

Jede der genannten drei Gemeinden ist selbständig mit der Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.“

Auf Grund dieser Verfügung arbeitete ein Kreis von Männern und Frauen, der sich in der Zeit des Kirchenkampfes gebildet hatte, eine neue Gemeindeverfassung aus, die von dem vorl. Kirchenausschuss der Brem. Ev. Kirche gebilligt wurde. Der wichtigste Satz dieser neuen Verfassung ist die sog. Präambel:

„Die Wilhadi-Gemeinde ist eine evangelische Gemeinde. Sie steht auf dem Grunde des Evangeliums von Jesus Christus, dem für uns gekreuzigten und auferstandenen Herrn, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist. Sie bekennt sich, auch zu dem in den 6 Sätzen der Theologischen Erklärung von Barmen vom 31. Mai 1934 ausgesprochenem Wort.

Von dieser Grundlage her bestimmt sich das leben der Gemeinde in der Verkündigung des Wortes, der Verwaltung der Sakramente und im Dienst an den Gemeindegliedern, an der Christenheit und an der Welt.“

Wenn auch die äußere Zusammengehörigkeit der 3 Gemeinden nunmehr aufhörte, so blieb doch die alte innere Verbundenheit bestehen, die sich vor allem in der Bedrängnis des Hitlerregimes bewährt hatte und die auch in einem feierlichen Gottesdienst der 3 Gemeinden am Sonntag, dem 25.8.1946 zum Ausdruck kam,. Er wurde in der Immanuel-Kapelle von mir als dienstältestem Pastor gehalten und erhielt die Verpflichtung der Gemeindevorstände:

„Meine lieben Schwestern und Brüder!

Ihr seid nach der Gnade Gottes durch den Mund eurer Gemeinden von eurem Herrn in den Dienst an seiner Herde berufen. Ihr sollt diesen euren Dienst ausrichten nach seinem Befehl und Beispiel zu seiner Verherrlichung aus der Kraft, die er selbst euch darreicht durch seinen Heiligen Geist.

Nach dem Beschluss einer gemeinsamen Sitzung der 3 Gemeindevorstände von Immanuel, Stephani und Wilhadi habt ihr jeder mit seinem Namen folgende Erklärung unterzeichnet, auf deren Grund der Zusammenschluss unserer Gemeinden erfolgt ist: (es folgt die Präambel von Wilhadi).

Das Gemeindeblatt

Die Zusammengehörigkeit der 3 Gemeinden fand ihren Ausdruck in dem wöchentlich erscheinenden Gemeindeblatt „Sonntagsgruß an die St. Stephani-, Wilhadi- und Immanuel-Gemeinde.“ Es wurde vom Kirchenvorstand von St. Stephani herausgegeben und erschien zum ersten Mal im Jahre 1872. In seiner 1. Nummer wurde sein erscheinen durch folgenden Artikel begründet:

„ Was dieses Blättchen will? Fragst du, lieber Leser. Wie der Titel andeutet, ist es Organ unsres Kirchenvorstandes und als solches will es alles bringen, was für die Gemeindeglieder Interesse haben kann. Dahin gehört die Mitteilung kirchlicher Vorträge, die wichtigeren Beschlüsse des Kirchenvorstandes und der kirchlichen Kooperationen, Ankündigung von Kollekten und Erträgen derselben, Proklamierung von Wahlen zu kirchlichen Ämtern, Besprechung von Fragen, die sich speziell auf unsere Gemeinde beziehen und dgl.

Damit ist aber nur ein Teil seiner Aufgabe angedeutet. Unser Gemeindeblatt wird, soweit Quellen vorhanden, manches wissenswertes aus der Geschichte der St. Stephani-Gemeinde mitteilen und Parallelen ziehen zwischen einst und jetzt. Durch Rückblicke in ältere Gemeinde-Perioden gewinnen wir das rechte Verständnis für die Gegenwart. Neben diesem mehr sachlichen Inhalte werden kurze Auslegungen über Bibelworte seine Spalten füllen. In einem kirchlichen Organ darf Gottes Wort nicht fehlen, dieses einzige Mittel, um Sünder fürs ewige Leben zu retten. Den übrigen Raum werden kurze Geschichten, Weltliches und Geistliches oder kernige Liederverse einnehmen.

Ist ein solches Blättchen Bedürfnis? Ohne Frage, und heute mehr denn je. Den Bremischen Gemeinden ist vielfach das Gefühl der Zusammengehörigkeit geschwunden und es bildet sich mehr und mehr die Ansicht heraus, dass es in Bremen überhaupt keine bestimmte Gemeinde gäbe. Dieser Anschauung entgegenzuarbeiten, das Gemeindebewusstsein zu stärken, der Interessenlosigkeit an kirchlichen Dingen, die auch in der St. Stephani-Gemeinde um sich greift, zu steuern, betrachtet unser Gemeindeblatt als eine Hauptaufgabe. Es will ein Bindemittel sein für die einzelnen Gemeindeglieder untereinander und ein Band abgeben zwischen Kirchenvorstand und Gemeinde. Wir wollen keine Gemeinde-Partikularismus wecken, aber die Zusammengehörigkeit stärken.

Begleite der Herr es mit Seinem Segen!“

Der Kirchenvorstand der St. Stephani-Gemeinde

In seinem Inhalt hat sich das Gemeindeblatt an diese ihm gestellte Aufgabe durch die Jahrzehnte hindurch gehalten, seine äußere Gestalt hat manche Änderung erfahren.  Es erschien 4seitig jede Woche und brachte auf der ersten Seite die Gottesdienstanzeigen der 3 Gemeinden, auf der letzten Seite die Veranstaltungen der Gemeindeorgane und Vereine; auf den Innenseiten die Auslegung eines Bibelwortes oder -Textes, kurze Geschichten, Mitteilungen aus dem Leben der Gemeinden, wie auch der Kirche.

Lange Jahre war Pastor Tiefenthal für das Blatt verantwortlich, von 1925-32 hatte ich die Herausgabe. Ich suchte dem Blatt eine etwas ansprechendere Gestalt zu geben und seinen Umfang zu erweitern. Diese Arbeit hat mir viel Freude gemacht. Die biblischen Auslegungen wechselten monatlich unter den 5, später 6 Pastoren, als das Findorffviertel mit einen Pastoren, der St. Stephani angeschlossen war, besetz t wurde.  1932 gab ich die Schriftleitung an Pastor Rosenboom ab.  In der Zeit des Kirchenkampfes hatte das Gemeindeblatt die sehr wichtige Aufgabe, unsere Gemeinden,über die Vorgänge in Volk und Kirche zu unterrichten , vor allem auch über die Maßnahmen des „Herrn Landesbischof“ und über die Auseinandersetzungen mit ihm. Als dann die Schriftleitung des „Sonntaggruß“ von Pastor Penzel übernommen wurde, glaubte ich nach Rücksprache mit dem Bruderrat, der sich im Laufe des Kirchenkampfes in unsrer Gemeinde gebildet  hatte, den Bezug des Gemeindeblattes nicht mehr empfehlen zu können. Als Ersatz dafür führte ich das von Pfarrer Ernst Lohmann herausgegebene, von volksmissionarischem Geist geprägte Blatt „Für Alle“ ein. Das kostete allerlei Arbeit: es mussten Leser gewonnen werden, für das Ausbringen des Blattes willige Gemeindeglieder gesucht werden usw. Bei dieser Arbeit erhielt ich wertvolle Unterstützung in der Person eines pensionierten Lloydzahlmeisters Herrn Nichelson, der die ganze notwendige Arbeit mit großer Gewissenhaftigkeit getan hat. Ebenso verdienen auch die Austräger und Austrägerinnen des Blattes lobende Erwähnung. Einen will ich mit Namen nennen Herrn Trautmann, der wegen eines Beinleidens am Stock humpelte, aber getreulich seinen Dienst versah, der wie er sich ausdrückte „die Außendörfer zu versorgen hatte“ und auf die Rückseite der Quittungen bisweilen schreiben mußte: „ Nicht antreffent!“

Der Kirchenkampf

An dieser Stelle will ich einiges über mein verhalten in der zeit des Kirchenkampfes anfügen. Da ich leider keine schriftlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit  besitze, will ich aus der Erinnerung heraus nur einiges hier berichten.

Der Kirchenkampf nahm innerhalb der Pastorenschaft seinen  Anfang in einer Sitzung der Montagsgesellschaft im April oder Mai 1933. Domprediger Weidemann, der an einer Tagung der „Deutschen Christen“  teilgenommen hatte, von Pastor Refer auf dem Bahnhof verabschiedet mit den Wort „Um Gottes Willen, tut etwas Tapferes!“, versuchte mit Pastor Thyssen uns zu überreden, uns ebenfalls den Deutschen Christen anzuschließen. Es kam zu einer Stürmischen Diskussion, in der es um die Frage ging, ob man aus Gründen der Heiligen Schrift den Nationalsozialismus bejahen könne. Weidemann erklärte, er habe mit der Bibel unter dem Arm den Marsch in der nationalsozialistischen Front angetreten, worauf ihm Pastor Lange (Jacobi)  antwortete: „Lieber Bruder Weidemann, wenn du die Bibel unter den Arm nimmst, kannst Du sie nicht lesen!“. Das Ende der stürmischen Sitzung war, dass die Montagsgesellschaft auseinander brach und damit eine langjährige schöne Gesellschaft gleichgesinnter Amtsbrüder ihr Ende fand. An ihre Stelle trat dann die sog. „Arbeitsgemeinschaft der Bremer Pastoren“, die fast alle Bremer Pastoren umschloss und aus ihrer Mitte einen geschäftsführenden Ausschuss bildete, der sich folgendermaßen zusammensetzte: ein Pastor vom Dom, zwei vom Ministerium, zwei von dem nicht im Domkollegium oder im Ministerium zusammengeschlossen Pastoren, einer von den Landpredigern, einer von den Pastoren der Hafenstädte, einer von den Anstaltspastoren und Eremiten. Vier der acht Mitglieder mussten der positiven und vier der liberalen Richtung angehören.

Ich kann nicht die einzelnen Phasen des Kirchenkampfes schildern, ich beschränke mich auf das, was unsere Wilhadi-Gmeinde und mich angeht. Während die Immanuel-Gemeinde geschlossen hinter ihrem Pastor (Denkhaus) stand und in Stephani die beiden Amtsbrüder Rosenboom und Greiffenhagen in den grundsätzlichen Fragen, die der Kirchekampf aufwarf, einig waren, kam es in Wilhadi zu einer zwiespältigen Haltung der beiden Pastoren Bruder Penzel konnte sich nicht entschließen, sich der Bekennenden Kirche anzuschließen, während ich es für notwendig hielt. Bruder Penzel erkannte auch das Wiedemann’sche Kirchenregiment an und beteiligte sich sogar gelegentlich an dessen Unternehmungen; durch meinen Anschluss an die Bekenntnis Gemeinde, kam es leider zu einem Zwiespalt in der Gemeinde. Ich mußte einen Bruderrat bilden, dem die Herren Hans Kunze, August Schulze, Oswald Opitz u.a. angehörten. Wir hielten unsere Zusammenkünfte im Gemeindehaus an der Hauffstrasse in regelmäßigen Abständen. Dabei gab ich eine biblische Exegese und es wurde über die Vorgänge in der Bremischen Kirche und der Deutschen Ev. Kirche Bericht erstattet. Dabei hat Prof. Stoevesandt, der Vorsitzende der Bekenntnis Gemeinde Bremens, uns oft mit einem Referat gedient. Eine Schwierigkeit in der Gemeinde entstand dadurch, dass ich auch die Beschlüsse der Bekenntnis-Synode von Dahlem im Oktober 1934 in einem Gottesdienst verlesen habe. „Dahlem III,3“ – so wurde dieser wichtige Beschluß der Synode genannt – hatte zur folge, dass ich die dort geforderte radikale Scheidung von dem anderen Gemeindeteil nicht vollziehen konnte, weil ja die organisatorische Zusammengehörigkeit nicht von uns geleugnet werden konnte. Das äußerte sich u, a, darin, dass ich mich während meines Urlaubs von Bruder Penzel vertreten lassen musste, was mir als ein schwerer Verstoß gegen „Dahlem III,3“ von manchen Amtsbrüdern der Bekenntnis Gemeinde vorgeworfen wurde.  

Auch in anderen Fragen, die im Lauf des Kirchenkampfes auftauchten, konnte ich nicht mit Rücksicht auf das Verhältnis zu Wilhadi und seinem Gemeindevorstand eine starre und dogmatische Haltung beweisen.

Eine andere Schwierigkeit entstand für mich dadurch, dass unsere Gemeindehelferinnen aus dem Burckhardt-Haus kamen, dass auch im Gegensatz zu dem Deutschen Christen-Regiment stand. Sie erhielten nicht aus dem Etat der Kirche ihr Gehalt, sondern mussten von der Gemeinde besoldet und unterhalten werden. Da musste ich manchen Weg machen, um für sie zu betteln, aber es war doch erstaunlich und erfreulich, mit welcher Treue unsere Gemeindeglieder ihre Opfer brachten. Gelegentlich kam auch eine Drohung von Dr. Cölle, der zeitweise das DC-Regiment innehatte, mir mein Gehalt zu sperren, wenn ich unsere Gemeindehelferin nicht ihm unterstellte. Aber es blieb bei der Drohung, auch als ich es verweigerte.  (Das DC-Regiment Weidemann nahm ja ein beschämendes Ende)

Durch die Not und Bedrängnis jener Jahre wuchsen die Gemeindeglieder zu einer echten Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe zusammen und bei einigen von ihnen fand ich nächtliche Zuflucht, wenn eine Haussuchung zu erwarten war. Die Kraft dieser Gemeinschaft haben wir auch zu spüren bekommen in den besonderen von der Bekennenden Gemeinde veranstalteten Gottesdiensten, in den wir für die gefangenen Amtsbrüder und Gemeindeglieder Fürbitte taten und wir waren dankbar für die Stärkung des Glaubens in diesen Gottesdiensten, die von auswärtigen Brüdern gehalten wurden, die in der vordersten Kampfeslinie standen

Zerstörung und Wiederaufbau der Wilhadi-Kirche

All die äußere Pracht unsrer Kirche sank dahin, in jener furchtbaren Nacht des 18.August 1944, die unsere ganze westliche Vorstadt zu einem Trümmerhaufen machte. Da ich selbst sie nicht miterlebt habe – ich weilte auf Urlaub an der Ostsee – lasse ich hier den Bericht folgen, den Bruder Penzel in der „Einkehr“ Mitte August 1954, gegeben hat :

„In diesen Tagen jährt sich zum 10.Male die Nacht, da die volkreiche westliche Vorstadt im Hagel des Bomben ihren Untergang fand. In ehrfürchtigem Gedenken an die Toten und zur Mahnung für die Lebenden sollte auch in der „Einkehr“ dieser Nacht gedacht werden.

Die Kriegsjahre hatten von mir als dem für das Gelände der Wilhadi-Kirche Verantwortlichen schon viel an Einsatz gefordert. Besonders hart ging es am 20. Dezember 1943 zu. Dieser Tag brachte den letzten aus jener Serie von Angriffen, die so verheerend am 26. November eingesetzt hatten. Da brannte das Gemeindehaus an der Erwinstrasse lichterloh. Es war nicht mehr zu retten. Aber das entwickelte Feuer im Dachstuhl des Pfarrhauses und im Turm der Wilhadi-Kirche konnte unterdrückt werden.

Zunächst stand ich allein zwischen meinen 3 Brandstellen. Später half ein Einsatztrupp aus dem Diakonissen­hause und vor allem mein nachher im Osten gefallener Sohn Gottfried, der auf Bombenurlaub in Bremen weilte. Ich mußte ihn zuletzt anseilen und in das Kirchenschiff gleiten lassen, damit endlich der brennende Balken in die Tiefe gestürzt werden konnte.

Bei jenen Angriffen nun war ich im Keller meines Hauses so durcheinander geschüttelt worden, dass ich beschloß, meinen Standort künftig auf dem Turm der Wilhadi-Kirche zu verlegen. Ich dachte lächelnd: da oben stirbt es sich vielleicht doch etwas leichter und der Himmel ist näher.

So hatte ich also auch in der Nacht des 18.August meinen Platz an einem der Turmfenster eingenommen. Die Lage schien der in der Nacht vorher genau zu gleichen: Störungsflugzeuge im Anflug. Gegen Mitternacht: Störungsflugzeuge im Abflug. Dann Entwarnung. Die letzte Nachricht, die mich aus einem Radioapparat unten auf der Strasse erreichte, lautete wieder genau so.

Ich machte also wie gewohnt meinen Rundgang die Turmfenster entlang, umfasste mit liebendem Blick die Straßenzüge und Giebelrehen unter mir, gedachte aufatmend meiner lieben Wilhadileute, schon das erhoffte Entwarnungssignal im Ohr, und dankte Gott, dass wohl auch diese Nacht nun ruhig bleiben würde.

Da sah ich plötzlich über dem Hafen eine ungeheure schwarze Wolke emporschießen, sah Fallschirme, Leuchtzeichen und lag schon an der Turmwand. Nun war alles Hölle! Um mich ein nicht zu beschreibendes Heulen, Orgeln, Branden und Brodeln. Die Flammenblitze der Bombenserien verlöschten immer wieder jäh im schwarzen Gewölk der Minen. Die eiserne Tür nach dem Kirchenschiff hin wurde herausgerissen. Der Turm schwankte. Manchmal ging es wie ein Seufzen und Stöhnen durch sein Gemäuer. Es schien, als würde er auseinandergerissen. Aber die nächste Bombenserie presste alles wieder zusammen Über mir wimmerte die Glocke. Zuweilen dachte ich, sie stürze herab. Es war wirklich Hölle.

Ich bin heute noch dankbar, dass jenes Erleben jenseits aller Angst stehen durfte. Ich fühlte mich getragen von der Kraft des Glaubens und eingehüllt in den Frieden der Gotteskindschaft. Es war mitten im Grauen wie geborgen sein in der Kinderwiege Gottes, über die hin jenes Wort klang, das sich auf vielen Grabplatten in den Katakomben findet: in pace – im Frieden! 

Neue Not, neuer Kampf warteten unten auf der Nordstrasse auf mich. Ich war wohl zunächst etwas benommen, suchte mit meinen Blicken die 5stöckigen Häuser der Kirche gegenüber und fand sie nicht mehr. Allmählich begriff ich, dass sie weg rasiert waren.

Mir bot sich ein unbeschreibliches Bild der Zerstörung. Oft stürzte ich. Einmal stützte ich mich auf einen Stein, schnellte aber sofort wieder hoch. Der Stein glühte und die Handfläche verwandelte sich in eine einziggroße Brandblase.

Inzwischen hatte jener unheimliche Funkensturm eingesetzt, der so vielen zum Verhängnis geworden ist. Die Luft schien zu brennen. Das Atmen versagte und das Herz begann so merkwürdig schwer sich zu wälzen. Da entdeckte ich  eine Gosse am Straßenrand. Hier habe ich immer wieder einmal rettende Luft aus der „Unterwelt“ geatmet.

Zuletzt kauerte ich mich hinter eine Linde bei Karwegs Asyl, um etwas Schutz zu haben vor dem Funkenregen, der den Anzug in Brand setzte, Haar und Ohrläppchen versengte. Eine wehe Trauer befiel mich. Denn nun tauchten da und dort in Decken gehüllte Gestalten auf, die der Danziger Freiheit zustrebten. Ich schämte mich des Menschen: Ratten sind lästige Ungeziefer, aber sie werden human getötet. In diesem wahnsinnigen Kriege aber stießen sich die Menschen gegenseitig in die Höllen der Vernichtung.

Gegen Morgen konnte ich dann heimfinden in den Diakonissenhaus-Bunker. Unvergesslich ist uns allen die 1.Abendandacht auf der Bunkerzinne, inmitten der rauschenden Trümmer und in Gegenwart der greisen, aber soldatisch tapferen Oberin Sophie von Hadeln. Ich sprach über das Wort: „Darum werden wir nicht müde, sondern ob unser äußerlicher Mensch verdirbt, so wird doch der innerliche von Tag zu Tag erneuert.“

So weit Pastor Penzels Bericht.

 

Als ich 8 Tage nach dem 18.August mit meiner Familie vom Urlaub in Pommern nach Bremen zurückkehrte, sahen wir, von Hamburg kommend, schon vom Zug aus den Greuel der Verwüstung. Ausgebrannte Häuser, zertrümmerte Gebäude, aus den leeren Fensterhöhlen starrte uns das Entsetzen jener Nacht entgegen, aber wir sahen auch unsern Kirchturm noch stehen. Auf dem Bahnhof erwartete uns ein treues Gemeindeglied, dem wir die Sorge für unser Haus anvertraut hatten – Willy Krug _ und berichtete: „Kein Gas, kein Wasser, kein Licht – aber das Haus steht!!“ Er war in jener Schreckensnacht, in der er selber seine Wohnung verloren hatte, in unser Haus gerannt; er fand die Haustür eingedrückt und auf dem Boden 3 Brandbomben, die nicht explodiert waren, warf sie auf die Strasse und verteidigte das Haus in dem Feuersturm durch eifriges Wasser gießen. So blieb unser Haus samt Nachbarhaus erhalten. Es war das einzige Gebäude, das der Gemeinde geblieben war; alle anderen Gebäude waren ein Raub der Flammen geworden: die Kirche, das Pastorenhaus an der Nordstrasse, das Gemeindehaus an der Erwinstrasse und das in der Hauffstrasse.

Während ich meine Familie weiter nach Bassum schickte, um dort bei freunden Unterkunft zu finden – sie sollte länger als 1 Jahr dort bleiben – machte ich mich auf den Weg in die westliche Vorstadt, um mir ein Bild von dem Ausmaß der Zerstörung zu gewinnen.

Wehen Herzens ging ich durch die vertrauten Straßen, stand vor unserm Haus, in dem nun Herr Krug mit seiner Familie Unterkunft gefunden hatte, vor den Trümmern unseres Gemeindehauses in der Hauffstrasse und endlich auch vor unserer Kirche und fragte bei diesem Gang: wo sind die Menschen geblieben, die mir durch jahrzehntelange Arbeit lieb geworden sind? Sind sie begraben unter den Trümmern – es sind mehr als 1000 Menschen Opfer jener Nacht gewesen – oder sind sie noch am Leben? Aber wo sind sie nun? Und was soll aus deiner Gemeinde werden nach dieser verheerenden Katastrophe? Es war ein schmerzvoller Gang an jenem schwülen Augustabend des Jahres 1944!!

Angesichts dieser Lage ergab sich für mich die Frage: was soll ich tun? Kann ich hier bleiben in dieser Trümmerwelt bei einer Gemeinde, die nicht mehr vorhanden ist – 70 Menschen hausten am Schluss des Krieges in Notunterkünften und Kellern in unserm Bezirk! Oder bedeutet das einen Fingerzeig Gottes, den Wanderstab in die Hand zunehmen und eine neue Gemeinde zu suchen? Ich war damals fast 60 Jahre und hatte nach menschlichen Ermessen noch die Kraft eine kleine Gemeinde zu versorgen. Ich machte auch einen Versuch: durch den Bauherrn von St. Stephani Gustav Meyer hörte ich, dass die Wasserhorster einen Pfarrer suchten als Nachfolger für ihren im Felde gebliebenen Pastor  Reinhold Thyssen. Ich hielt also einen Gottesdienst, aber die Bauern erklärten: einen so alten wollten sie nicht! Dieses Fiasko nahm ich hin als eine Weisung des Himmels: du mußt  bleiben und abwarten, wie es mit dir und der Gemeinde weitergehen soll. Da ich in der Hauffstrasse nicht wohnen konnte, schlug ich mein Zelt auch in Bassum auf und fuhr mit dem Rade nach Bremen, so oft es nötig war. Wie oft habe ich die 33 Kilometer zurückgelegt, bisweilen überrascht durch Fliegeralarm, der gegen Ende des Krieges immer öfter erfolgte. Ende März 1945 sollte ich eine Konfirmation in Bremen halten; als ich eintraf, erfuhr ich, dass ein Amtsbruder bereits sie vollzogen habe. Ich fuhr also zurück – es war mein letzter Besuch in Bremen vor Beendigung des Krieges und geriet in eine ziemliche Kanonade: die Briten näherten sich Bassum und Bremen und beschossen Syke. Nun brach die Verbindung zwischen Bassum und Bremen ab, und wir mussten untätig das Ende des Krieges und die ersten Wochen nach dem Waffenstillstand in Bassum verharren.

Dann begann das mühselige Werk des Wiederaufbaus der Gemeinde. Zunächst machte ich mich daran, Gemeindeglieder, soweit sie noch in Bremen zerstreut wohnten, aufzuspüren und mit den nach draußen Evakuierten Verbindung aufzunehmen. Bei den Besuchen in Bremen tat mir das Fahrrad, das ich erwerben konnte – eine besondere Vergünstigung bei der Bewirtschaftung aller Gegenstände nach dem kriege – einen guten Dienst. Wie viele Kilometer habe ich auf  ihm zurückgelegt, fast die ganze Stadt durchfahrend! Mit den auswärtigen Gemeindegliedern hielt ich Verbindung durch einen gelegentlich erscheinenden Rundbrief. Für unsere Gottesdienste stellt uns Immanuel den Lehrsaal zur Verfügung; dort kamen wir am Sonntag Nachmittag mit 5 – 10 Gottesdienstbesuchern zusammen. Später wurde das Pfarrhaus in der Hauffstrasse benutzt für Zusammenkünfte kleiner Gruppen. Da war es sehr eng, aber das förderte das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Es bildete sich auch ein Gemeindevorstand, dem Studienrat Hans Kunze als Vorsitzender, Albert Koch als Schriftführer, August Schulze, Oswald Opitz und Erich Beier angehörten.

Mit dem Wiederaufbau der westlichen Vorstadt ergab sich die Notwendigkeit, auch Pläne zu machen für de Aufbau einer neuen Kirche und eines Gemeindehauses. Da die Kirche nicht wieder auf dem alten Platz an der Nordstrasse gebaut werden konnte, musste ein neues Grundstück gesucht und gefunden werden, was nicht leicht war. In vielen Besprechungen mit den zuständigen Behörden wurde die Frage erörtert, wurden seitens der Baubehörde Angebote von allerlei Grundstücken gemacht, die für die Gemeinde nicht annehmbar waren. Da machte ich in einer Sitzung den Vorschlag, die neue Kirche am Steffensweg gegenüber der St. Marienkirche zu erbauen. Baudirektor Rosenboom griff begeistert diesen Gedanken auf – „Pastor Arlt ist klüger als wir alle!“  - und so konnte endlich mit den notwendigen Schritten zu r Erbauung des Gemeindezentrums begonnen werden. Der Gemeindevorstand, vor allem Erich Beier gab sich viel Mühe mit den nun notwendig werdenden Arbeiten, ebenso unser Architekt Fritz Brandt BDA, der für den Entwurf und die Herstellung des Baues verantwortlich zeichnete.

Am 2. April 1955 konnte der Grundstein für den neuen Bau gelegt werden. Unter Possaunenschall sangen wir einige Verse aus dem Liede „Nun danket all und bringet Ehr, ihr Menschen in der Welt“. Meine Ansprache hielt ich mit dem Wort aus 1. Korinther 3,9 – 11: „Denn wir sind Gottes Mitarbeiter, ihr seid Gottes Ackerwerk und Gottes Bau. Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeglicher aber sehe zu, wie er darauf baue. Einen andern Grund kann niemand legen ausser dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“. Nach der Ansprache wurde die Grundsteinlegung vollzogen unter Hammerschlägen des Vertreters des Kirchenausschusses Herrn Edzard, der Mitglieder des Gemeindevorstandes und des Vertreters der St. Stephanigemeinde. In den Grundstein war eine Kassette mit der Urkunde, Tageszeitungen usw. eingesetzt.

Die Urkunde hatte folgenden Wortlaut:

In der furchtbaren Brandnacht des 18. August 1944 wurde die in den Jahren 1876 – 1878 erbaute Wilhadi-Kirche an der Nordstrasse, samt benachbarten Pfarrhaus, dem Gemeindehaus und Küsterhaus in der Erwinstrasse ein Raub der Flammen.

Ein Jahrzehnt lang musste unsere schwer geschlagene, über die ganze Stadt zerstreute oder nach außerhalb evakuierte Gemeinde ein eigenes Gotteshaus entbehren. Sie feierte ihre Gottesdienste in der Immanuel-Kapelle und –Gemeinde, die ihr brüderliche Gastfreundschaft gewährte.

Im Zuge des Wiederaufbaus der Westlichen Vorstadt ergab sich die Notwendigkeit, einen neuen Platz für die Kirche zu suchen, da sie an der alten Stelle nicht wieder erbaut werden konnte. Nach langen Verhandlungen wurde der Gemeinde von der Baubehörde der Platz an der St. Magnusstrasse ecke Steffensweg zugewiesen.

Nun konnte an die Planung einer neuen Kirche gegangen werden. Im Einverständnis mit dem Kirchenausschuss der Bremisch Ev. Kirche wurde Architekt Fritz Brandt BDA mit der Planung und Durchführung des Baues betraut, während der Kirchenausschuss die notwendigen Mittel aus der Zentralkasse bewilligte.

Im Herbst des Jahres 1954 konnte mit den Bauarbeiten begonnen werden. Die Betonarbeiten werden von der Firma F. Klasen & Co., die Maurerarbeiten von der Firma H. Schröder ausgeführt.

Am Sonnabend, dem 2. April 1955, am Tage vor Palmarum, wurde der Grundstein der neuen Wilhadi-Kirche gelegt. Gott der Herr nehme sie in seinen Schutz! Er lasse sie zu einer Stätte des Friedens werden, wo Seine Ehre wohnt und erfülle Sein Verheißungswort: „An welchem Ort ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will Ich zu dir kommen und dich segnen!“

(Unter den Anlagen befindet sich Programm, Ansprache und Urkunde der Grundsteinlegung)

Das Richtfest wurde am 2.9.1955 gehalten, der übliche Richtschmauss in einem der St. Marien-Kirche gehörenden Raum, der uns in freundschaftlicher Weise zur Verfügung gestellt worden war.

Die Einweihung des Gemeindezentrums fand am 9.9.1956 statt. Die 1. Predigt in unsrer neuen Kirche hielt Pastor Petzinna, der Nachfolger Pastor Penzels, über das Losungswort, das unser Bundespräsident Heuss in die von ihm gestiftete Bibel eingeschrieben hatte: "„Denn unser Herz freuet sich sein und wir trauen auf seinen heiligen Namen"“(Psalm 33,21)

(Unter den Anlagen findet sich die Ordnung des Festgottesdienstes zur Einweihung der Wilhadi-Kirche)

Darf ich meine Erinnerungen schließen mit dem Wort aus meiner Abschiedspredigt am 15.4.1956 über das Wort Johannis des Täufers: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen“: „Das ist die einzige Frage, die wir zum Abschied aneinander zu richten haben: Ist Er in uns gewachsen? Ist Er in euch, ist er in mir gewachsen? Denn wo er ist, da kann ich ruhig gehen und vergessen werden. Wo er gewachsen ist, da darf ich mich freuen, ohne noch nach mir selbst fragen zu müssen, und darum ist das meine Freude in dieser stunde, dass ich unter auch Menschen sehe, in deren Herz Er eine Wohnung genommen hat.“

 

Zusatz des Archivpflegers: Pastor Arlt ich auch im Ruhestand noch tätig: Er sammelt die emeritierten Geistlichen in Bremen, mehr von außerhalb Zugezogene als Bremer, zu monatlichen Zusammenkünften in jedem Winterhalbjahr um sich. Auch jetzt noch 13 Jahre nach seiner eigenen Emeritierung, freut er sich dieser Tätigkeit. Wie er berichtet, sind es oft 25 bis 30 Personen einschließlich der Damen bei diesen Zusammenkünften, bei denen jedesmal ein gehaltvolles Referat gehalten wird.

27.März 1969 Müller-XXXX