08. Januar 2025
02. Januar 2025
27. Dezember 2024
Mittwoch, 08. Januar 2025
Eröffnung der zeitgenössischen Marienfigur in der Nische der Nordwand der Stadtkirche Unser Lieben Frauen
"Sehr geehrte Damen und Herren,
es war eine gute Idee von Unser Lieben Frauen, für die Nische in der Nordwand eine zeitgenössische Marienfigur in Auftrag zu geben. Der Name der Kirche bezieht sich schließlich auf eine Person. Noch besser war die Entscheidung für eine zeitgenössische figürliche Lösung.
Und die Steigerung dann, dass Annegret Kon den Auftrag erhielt. Und nun hat Stephan Kreutz mich gebeten, etwas über das Kunstwerk zu sagen, während er sich zur Theologie äußern wird, aber das geht nicht - beides ist eng miteinander verwoben, so dass Sie diesem Kunsthistoriker ganz am Ende einen klitzekleinen Exkurs in die Theologie erlauben müssen. Denn: Bilder, Kunstwerke in einer Kirche sind immer Theologie, sonst sind sie Möbel.
Und die theologische Auseinandersetzung dreht sich im Kern immer darum:
Was ist ihre Kraft? Sind sie das, was sie sind? Möbel oder mehr? Und jede Darstellung, und sei sie noch so indirekt, etwa im Sinne des heute im Diskurs der zeitgenössischen Kunst so beliebten „Dieses Kunstwerk handelt von“, weist über den Gegenstand hinaus – hat also theologische Implikationen.
Wer die Kirche betritt, sieht die Figur zunächst nicht. Sie ist von den Pfeilern verdeckt. Die meisten Menschen gehen nach rechts in Richtung Altarraum und sehen dann links im Augenwinkel etwas, das nicht unbedingt sofort die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das Werk ist da, aber es hat sich sofort in die Substanz des ganzen Gebäudes eingefügt.
Und dann, wenn man sich nähert, gibt es einen Wechsel von Strenge und Freundlichkeit, letztere vor allem, wenn man sich von rechts nähert. Es ist einfach, man steht vor der Figur, man bewegt sich vor der Figur, die Atmosphäre ändert sich. Annegret Kon ist eine Bildhauerin, die das Leben sucht, dafür eine Form findet, aber nie eine Form, die das Leben einfriert.
Die Künstlerin, die bei Bernd Altenstein studiert hat und seit vielen Jahren in Bremen lebt und arbeitet, sucht Menschen in ihrer Umgebung auf, meist Frauen, die, wie sie sagt, strahlen, und dann versucht sie, diese Wirkung, die im Gespräch, in der Begegnung entsteht, einzufangen und in ihre Kunst zu übertragen. Und so wie die italienischen und holländischen Meister des Barocks für ihre Mariendarstellungen die Modelle in ihrer unmittelbaren Umgebung suchten, tut es Kon hier in Bremen, womit sie sich gekonnt und dezidiert von den Konventionen des Marienkitsches entfernt. Viel intelligenter ist ihr Spiel mit der Tradition, wie sie das Gesicht mit Formen umgibt, die es einbetten und den Bezug zur Architektur herstellen. Sie strahlen über die Wand in die Kirche hinein. Als was? Ja, als Erinnerung an den Menschen. Da kommt Stephan Kreutz als Theologe sofort ins Spiel.
Aber ich wollte noch eine andere Spur legen. Das besondere Verhältnis der evangelischen Kirchen zu Mariendarstellungen hat mit der Angst zu tun, dass sie, das Bild oder die dargestellte Frau zum Gegenstand von Anbetung und Verehrung werden könnte, was aber in den Epochen nach dem Bildersturm nicht bedeutete, dass es keine Darstellungen von ihr gab. Aber es durfte nie um sie gehen. Die einfachste Lösung ist dann, die Mariendarstellung auf Jesus zu beziehen, sie sozusagen in der Aufmerksamkeit zurückzudrängen, aber eine einzelne Frauendarstellung in einer evangelischen Kirche ist eine Herausforderung, die Annegret Kon bravourös gemeistert hat. Indem sie eben nicht das gemacht hat, was man erwarten würde, eine Maria, die sich in die Nische zurückzieht, ein unauffälliges Kunstwerk. Nein, ihre Maria tritt mit einer bemerkenswerten Präsenz in den Raum, und es ist diese Präsenz, dieses Hier und Jetzt, mit der sich die Figur den Mechanismen der Verehrung entzieht, auch weil sie sich ganz bewusst nicht den Bildkonventionen unterwirft. Sie ist nicht real und zugleich nicht entrückt, symbolisch und im Hier und Jetzt, eine bemerkenswerte Gratwanderung, die der Künstlerin gelungen ist.
Es ist davon auszugehen, dass sich hier in dieser Kirche bis 1582 viele Kunstwerke befanden, die historisch einmal im Kontext der Heiligenverehrung standen und nun in den Augen der Zeitgenossen um Christoph Pezel obsolet oder gar gefährlich geworden waren. Und wenn heute zufällig die Krippe des 2020 verstorbenen Waldemar Otto, eines seiner letzten Werke, und die Maria von Annegret Kon hier der Öffentlichkeit präsentiert werden, dann muss genau daran erinnert werden. Bei Otto handelt es sich um ein sehr privates Werk. Der Künstler kannte sich in der christlichen Ikonographie und auch in der evangelischen Theologie sehr gut aus, und seine Krippe handelt letztlich von der Verletzlichkeit, wie sie mit dem Menschsein - auch dem Gottes - verbunden ist. Man kann das zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken oder zu beten. Bei der Maria liegt der Schwerpunkt woanders, wo Otto als Bildhauer, den wir zwei Generationen vor Kon ansiedeln müssen, in den 70er Jahren kurz schnuppert, um dann den Weg in die unendliche Konvexität zu gehen, wie es die Krippe ja auch ist, auf eine wunderbare Weise, die ihn selbst ironisiert. Und das betrifft das Zusammenziehen von Form, Inhalt und Ort in einem konzentrierten Bild, das sich durch seine aktive Präsenz, dadurch, dass es ein zu entzifferndes Frauenbild ist, gegen Vereinnahmung und damit auch gegen Verehrung sperrt.
Es gibt viel Gutes zu sehen an diesem Sonntag."