Denkanstoß

Der auferstandene Christus

EIN GUTER FREUND 

Wir sehen uns immer wieder, wenn ich in Berlin bin. Denn inzwischen ist er wie ein guter Freund für mich geworden: der Christus in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Neben der Sightseeing Tour mit dem Bus 100 vorbei am Brandenburger Tor und dem Schloss Bellevue, spannenden Ausstellungen in den Museen und einem Bummel durch den Prenzlauer Berg gehört für mich ein Besuch bei der überlebensgroßen Figur des Künstlers Karl Hemmeter einfach dazu in Berlin. Wir beide sind ein Jahrgang – das verbindet schon mal. Und die Geschichte seiner Entstehung finde ich spannend. Eigentlich hatte der Architekt Egon Eiermann für den von ihm entworfenen Kirchenneubau am Breitscheidplatz ein eigenes Kruzifix entworfen. Das kam aber bei der Gemeinde nicht gut an, so dass Bischof Martin Dibelius das jetzige Kunstwerk spendete. Die Gemeinde war glücklich und Eiermann hat – so ist zu lesen – aus Verärgerung sein Bauwerk nie wieder betreten.

 

DAS HIMMLISCHE BLAU DES FRIEDENS

Zuerst war es das wunderschöne Blau der Glasfenster aus Chartres, das mich so fasziniert hat und bis heute begeistert. Das Blau der Fenster, so höre ich bei einer Kirchenführung, steht für den Frieden und die Farbspuren für die Freude. Mehr und mehr ist es dann aber auch die 4,60 Meter große Christusfigur geworden, zu der ich mich hingezogen fühle. Sie schwebt im Raum vor himmlischem Blau und hat die Hände weit ausgebreitet. Ich erkenne wohl die Narbenwunden an seinen Händen und Füßen, aber ich erkenne nicht die für viele Kirchen so typische Figur des gekreuzigten Jesus. Es ist der auferstandene Christus, der mir hier begegnet. Das macht etwas mit mir. Während der dauernde Anblick einer Kreuzigungs­szene mich festhält in der Welt der Gewalt und des Todes, die mich ohnehin kaum loslässt in meinen Gedanken, atmet diese Christusfigur Freiheit und Leben. Das macht mir Mut. 

 

EIN OSTERSEGEN FÜR NIEDERGESCHLAGENE

Mir macht diese großartige Figur Mut und Hoffnung, weil sie mir Ostern zuspielt: die gute Nachricht, dass um Gottes Willen Hass und Gewalt und auch der Tod nicht das letzte Wort haben. Geschunden und geschlagen sehe ich ihn, diesen Christus, sichtbar verletzt und doch aufrecht und stark. Ja mehr noch: er hat die Hände zum Segen ausgebreitet. So voller Kraft und Leben ist dieser Auferstandene, dass er mir davon abgeben möchte, mich mit großer Geste geradezu umarmt. Und das kann ich gut gebrauchen. Denn neben den ganz persönlichen Traurigkeiten meines Lebens fühle ich mich oft so hilflos, wütend und geschlagen durch das, was ich um mich herum und in der Welt wahrnehme. 

Was kann ich als Einzelner schon dagegen tun? Eine Frage, die sich Jesus wohl nie gestellt hat. Er ist als Einzelner aufgestanden und hat inmitten von Unrecht und Gewalt die unbedingte Liebe Gottes gelebt. Man hat ihn ans Kreuz gebracht, aber seine Botschaft geht weiter um die Welt: Öffnet eure Herzen, erkennt in allem, was lebt, die Liebe Gottes, schützt und bewahrt es und helft nach euren Möglichkeiten mit, dass Frieden wird. Waffen hat er dabei ausdrücklich und in jeder Form ausgeschlossen und die Liebe als stärkste Macht gepredigt und gelebt. Das alles gibt er mir mit in einer Segensgeste, die so weit ist und so blau scheint wie der Himmel. Und ich verstehe: nicht ich bin es, der diesen überlebensgroßen Christus in Berlin besucht dann und wann. Er ist es, der mich aufsucht, mich aufrichtet und groß machen möchte, allem Unrecht und aller Gewalt mutig entgegen zu treten und mich einzusetzen für das Leben, für Frieden und Gerechtigkeit. 


Herzlichst
Pastor Stephan Kreutz