21. November 2024
13. November 2024
12. November 2024
Ein geschichtlicher Abriss von Dr. Gottfried Sprondel (von 1959 bis 1976 Gemeindepastor der Liebfrauengemeinde)
Wie eng kirchliche und bürgerliche Gemeinde in der mittelalterlichen Stadt (und noch lange danach) verknüpft sind, fällt dem Betrachter, der vom Markt aus auf Rathaus und Liebfrauenkirche blickt, sogleich ins Auge: die Kirche, die mit ihrer Flucht hinter das Rathaus zurücktritt und es mit ihrem Turm zugleich überragt. Pfarr- und Bürgerkirche war sie von Anfang an (zunächst freilich unter anderem Namen Baugeschichte ), seit Bischof Unwan (1012-1029) in der mit seinem Namen verbundenen ersten Glanzzeit der Stadt den Dom zur reichen Kathedralkirche machte und außerhalb der Mauern der Bischofsstadt diese erste Pfarrkirche Bremens gründete. Bis zum Rathausbau diente die Kirche auch als Versammlungsort der Bürgerschaft. Jedenfalls ist sie mit dem Rathaus viel enger verbunden als mit dem Dom, dem Sitz der damaligen landesherrlichen Gewalt. Jahrhundertelang ist sie Rats- und Marktkirche der aufblühenden Stadt, auch nachdem Erzbischof Gerhard II (1219-1258) im Jahr 1229 die Stadt in vier neue Kirchspiele einteilte (Liebfrauen, Martini, Ansgarii und Stephani), die bis ins 19. Jahrhundert neben der kirchlichen zugleich auch die politisch-kommunale Gliederung Bremens bildeten. lm Liebfrauenkirchspiel wohnten die Ratsfamilien; das Hauptportal der Kirche befindet sich nicht im Westen, sondern an der dem Rathaus zugewandten Südseite.
Die Reformation der Stadt hat das Selbstbewusstsein der Gemeinde, die sich dabei der geistlichen Oberherrschaft durch das Domstift entledigte, noch gestärkt. Der erste evangelische Prediger, den eine Bremer Gemeinde berief, war 1524 Jacobus Probst an Unser Lieben Frauen, ein Augustinermönch aus Ypern und Vertrauter Luthers.
Durch Luthers Einfluss entstand 1525 mit der Gotteskiste auch die erste geregelte Versorgung der Armen des Kirchspiels und mit ihr die Diakonie, ein noch heute bestehendes Kollegium ehrenamtlich tätiger Gemeindeglieder, einst verantwortlich für die gesamte Fürsorge, heute betraut mit den eigentlich kirchlich-diakonischen Aufgaben der Gemeinde.
Die erste Bremer Kirchenordnung von 1534 trägt noch lutherisches Gepräge. Mit dem Geistlichen Ministerium entsteht eine erste kirchliche Körperschaft, die ihren Amtssitz, das "Conclave", fast vier Jahrhunderte lang in Liebfrauen hatte. Jacobus Probst wurde der erste Superintendent Bremens.
Die für Bremens Kirchengeschichte bezeichnende "Zweite Reformation", nämlich der Übergang vom Luthertum zum reformierten Bekenntnis (abgeschlossen mit dem Consensus Bremensis von 1595), gab dem Gemeindeleben die Richtung, die für lange Zeit bestimmend blieb und noch heute nachwirkt: Größte Unabhängigkeit der Einzelgemeinde in Lehre und Bekenntnis (wodurch die Geschichte aller "alten" Bremer Gemeinden eine Geschichte ihrer Prediger wurde) mit einer patrizisch-demokratischen Gemeindeverfassung. Gleichzeitig beharrte der Rat (Senat) der Stadt strikt auf die dem Domstift genommenen Episkopatsrechte, wodurch gesamtkirchliches Bewusstsein und Selbstgefühl gegenüber der weltlichen Obrigkeit verhindert wurde. An den theologischen Strömungen des 17. und 18. Jahrhunderts, die das kirchliche Leben Bremens mächtig erregt haben, nahm Liebfrauen zurückhaltend Anteil. Der Rationalismus bedeutete den ersten schweren Einbruch in ihre überlieferte Kirchlichkeit, so dass man wegen des Rückgangs des Gemeindelebens vorübergehend die Vereinigung mit der Martini-Gemeinde erwog und der Senat die Kirche den Katholiken übergeben wollte. Im Vormärz und während der 1848-er Revolution ergriff der frühe kirchliche Liberalismus, verquickt mit politischem Radikalismus für kurze Zeit die Gemeinde, um dann auf lange Dauer dem so genannten "positiven" Typ bremischer Kirchlichkeit Platz zu machen. Der überlieferte Konfessionsgegensatz zwischen reformierten Stadtgemeinden und Lutheranern wurde in dieser Zeit zunehmend überdeckt von den Parteiunterschieden zwischen "positiver", "freisinniger" und "radikaler" Theologie. Im Unterschied zu den anderen "alten" Bremer Gemeinden hat Liebfrauen während des starken Anwachsens der Bevölkerung im 19. Jahrhundert keine Tochtergründungen hervorgebracht. Eine um so stärkere Rolle spielte die Gemeinde aber im kirchlichen Vereinswesen, in der sozialen Fürsorge und in der Mission (Norddeutsche Mission). An ihre zeitweise Rolle als Garnisonskirche (1862 – 1918) erinnert noch heute das Moltke-Denkmal am Nordturm und das Mahnmal für die Kriegstoten des ersten Weltkrieges in der ehemaligen "Tresekammer". Nach dem Ende des Kirchenregiments des Senats (1918) gingen von Liebfrauen starke Impulse für die Schaffung einer unabhängigen und geeinten Bremer Landeskirche aus. In schwere Auseinandersetzungen mit der deutsch-christlichen Bischofsherrschaft während des "Dritten Reiches" verwickelt, gelang es Liebfrauen, sich als Gemeinde der Bekennenden Kirche der Überfremdung durch das nationalsozialistische Neuheidentum zu erwehren. Einst erste und einzige Bremer Pfarrgemeinde, heute eine unter vielen, hat sich die Gemeinde von Unser Lieben Frauen auseinanderzusetzen mit den Schwierigkeiten der modernen Großstadt, der zunehmenden Entvölkerung der Innenstadt um die alte Kirche herum und der Tatsache, dass ihre Gemeindeglieder weit über die ganze Stadt verstreut wohnen. Doch sie bleibt ihrem Auftrag treu: Gemeinde von evangelischen Christen zu sein, die ihren christlichen Glauben in ihrer Zeit leben.
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